Der Strukturwandel der Lausitz als Vorbereitung auf den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung läuft auf Hochtouren. An vielen Orten werden konkrete Projekte umgesetzt: Das ICE-Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn ging am 11. Januar mit zunächst 400 neuen Industriearbeitsplätzen offiziell an den Start. In der gesamten Region entstehen neue Gewerbegebiete und Industrieansiedlungen sowie Straßen- und Bahnanbindungen. Eine wichtige Basis für eine nachhaltig positive Entwicklung schaffen Wissenschaftler, Forscher und Unternehmer, die die Ergebnisse aus der Forschung in die Wirtschaft bringen. „Sie sind die Antriebskraft zur dauerhaften Strukturstärkung der Lausitz“, so Ministerpräsident Woidke heute auf der Veranstaltung „Lausitzer Köpfe – Wissenschaft und Forschung“ in der Brandenburger Landesvertretung in Berlin.
Woidke: „Der Wandel der Lausitz wird täglich sichtbarer. Durch die Verbindung von Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft schaffen wir eine starke, vielfältige, lebenswerte Lausitz mit zukunftsfähigen Jobs und Innovationen. Es entstehen neue Geschäftsfelder und neue Wertschöpfungsketten, nicht nur für unsere Industrie, sondern auch für den Mittelstand und das Handwerk. Wir bringen Wachstum, Wohlstand, Klimaschutz und Sicherheit zusammen.
Und wie immer kommt es vor allem auf die Menschen an, die diesen Prozess aktiv voranbringen. Ich bin sehr froh, dass wir so viele ‚Lausitzer Köpfe‘ haben, die mit Forschergeist und großem Umsetzungswillen, mit Mut und Zuversicht den Strukturwandel in der Lausitz voranbringen. Sie sind Botschafter für unsere Region. Sie werben mit ihrer Arbeit und den konkreten Projekten dafür, dass sich noch mehr innovative Köpfe inner- und außerhalb der Lausitz an diesem großartigen Strukturwandelprojekt beteiligen. Dies wollen wir auch mit unserer Kampagne ‚Die Lausitz. Krasse Gegend.‘ unterstützen.“
„Die ‚Lausitzer Köpfe‘ stehen für Menschen, die die Strukturentwicklung inhaltlich voranbringen“, sagte Kultur- und Wissenschaftsministerin Manja Schüle in ihrem Impulsvortrag vor den rund 140 Gästen des Fachgesprächs. Die Ministerin fügte hinzu: „Die Menschen in der Lausitz sind Expertinnen und Experten in Sachen Strukturwandel. Wir als Land unterstützen die Lausitz auf ihrem Weg zu einer europäischen Innovationsregion und setzen dabei ganz gezielt auf Wissenschaft und Forschung. Der Lausitz Science Park wird die herausragenden Kompetenzen der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und neuer Forschungseinrichtungen in zentralen Zukunftsfeldern bündeln. Im Projekt chesco wird in enger Kooperation mit der Industrie die Zukunft des klimafreundlichen Fliegens entwickelt. Und die künftige Uni-Medizin wird nicht nur weit über die Lausitz hinaus wichtige Impulse in der Forschung geben, sondern dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung ganz konkret für die Menschen in der Region zu verbessern. Das sind große Aufgaben. Aber: Wir haben in weniger als einem Jahr einen neuen Lehramtsstudiengang in Senftenberg aufgebaut – das ist bundesweit Rekordtempo. Dieses Beispiel zeigt: Die Lausitz will. Und kann.“
Zu den „Lausitzer Köpfen“ zählen unter anderen Prof. Gesine Grande (Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU)), Prof. Eckhard Nagel (Projektbeauftragter der Landesregierung für das Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus (IUC)), Prof. Klaus Höschler (Wissenschaftlicher Leiter Center for Hybrid Electric Systems Cottbus (chesco) und Inhaber BTU-Lehrstuhl Flug-Triebwerksdesign), Jörg Zimmermann (Geschäftsführer der Orthopädie- und Reha-Team Zimmermann GmbH) sowie Dr. Nora Baum und German Linz von der Cottbuser Sonocrete GmbH.
Im Sommer 2020 sind die Bundesgesetze zum bundesweiten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis zum Jahr 2038 und zur Strukturstärkung in den Kohleregionen in Kraft getreten. In die brandenburgische Lausitz fließen 10,3 Milliarden Euro Bundes- und mehrere hundert Millionen Euro Landesmittel, um den Strukturwandel zu gestalten. Etwa 4,3 Milliarden Euro sollen in die Bereiche Forschung und Entwicklung, Wissenstransfer sowie Aus- und Weiterbildung fließen. In der Begleitforschung zum Strukturwandel heißt es dazu in einem Policy Brief: „Das Land Brandenburg setzt eindeutig einen Schwerpunkt auf die Generierung und den Transfer von Wissen, das heute als entscheidende Determinante (regionaler) wirtschaftlicher Entwicklung gilt.“
Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU)
An der BTU sind 6.600 Studentinnen und Studenten immatrikuliert. Als Universität im Herzen der Lausitz gestaltet die BTU den Strukturwandel aktiv mit. Prof. Gesine Grande, seit 2020 Präsidentin, sagt: „Die BTU verwirklicht durch exzellente Forschung und klugen Wissens- und Technologietransfer die Ziele eines nachhaltigen Strukturwandels. Gefördert aus dem Strukturstärkungsgesetz, wird die Lausitz zu einem attraktiven Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort.“
Der Kohleausstieg bis 2038 ermöglicht es, zusätzlich anwendungsbezogene Forschungsprojekte in der Lausitz umzusetzen. Zukunftsfragen bearbeitet die BTU inter- und transdisziplinär mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft. Für die BTU sind die vier Profillinien leitend, in denen die Strukturstärkungsprojekte umgesetzt werden:
„Energiewende und Dekarbonisierung“
„Gesundheit und Life Sciences“
„Globaler Wandel und Transformationsprozesse“
· „Künstliche Intelligenz und Sensorik“
Lausitz Science Park (LSP)
Aufbauend auf die aus Lausitzmitteln geförderten Forschungsprojekte an der BTU sowie die Ansiedlung namhafter außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und Bundesbehörden soll sich am Standort Cottbus der Lausitz Science Park (LSP) entwickeln. Grande: „Hier kann in direkter Nachbarschaft zur BTU ein Wissenschafts- und Technologiepark mit internationaler Strahlkraft und Relevanz für den Standort Deutschland entstehen. Insbesondere geht es um den Transfer von Forschung in die wirtschaftliche Praxis.“
Für die Entwicklung des LSP stehen bis zu 420 Hektar Fläche zur Verfügung, zum Großteil auf einem früheren NVA-Militärstandort im Cottbuser Norden. Eine Vielzahl von neuen Jobs wird prognostiziert. Die Folgeinvestitionen könnten sich – je nach Art der Ansiedlungen – auf bis zu eine Milliarde Euro belaufen. Eine Task Force in der Staatskanzlei koordiniert derzeit den Aufbau und die weitere Entwicklung des Parks.
Center for Hybrid Electric Systems Cottbus (chesco)
Teil des LSP soll künftig auch das Center for Hybrid Electric Systems Cottbus an der BTU sein, das seinen Standort in der Aufbauphase noch in Cottbus-Dissenchen hat. Dort wird an hybriden und elektrischen Antrieben unter anderem für den Flugverkehr geforscht, um klimaschädliches CO2 zu vermeiden. Der Bau von chesco wird anteilig aus den Mitteln des Kohleausstiegs von Bund und Land gefördert. Die Gesamtinvestition in Gebäude und Maschinen beläuft sich nach Planungen aus dem Jahr 2021 auf rund 238 Millionen Euro. Künftige Forschungspartner sind unter anderem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die APUS Group sowie weitere Luft- und Raumfahrtunternehmen.
Prof. Klaus Höschler sagt über das Projekt: „Im Center for Hybrid Electric Systems Cottbus wird nicht nur die Mobilität der Zukunft erforscht. Der Aufbau der chesco-Forschungsfabrik hat auch einen Nutzen für die regionale Wirtschaft. Die Infrastruktur des Maschinenparks und die agilen Fertigungsmethoden werden für Projekte mit Unternehmen aus der Lausitz genutzt, um den Transfer und das Netzwerk mit der lokalen Industrie zu stärken.“
Forschung und Handwerk
Die Forschung bei chesco strahlt so auch in das regionale Handwerk aus, zum Beispiel in die Orthopädie. Reha-Team-Geschäftsführer Jörg Zimmermann: „Wir sind nicht die Wissenschaftler, sondern diejenigen, die die Hilfsmittel produzieren. Deshalb kooperieren wir gerne mit Wissenschaft und Forschung, insbesondere mit chesco. Wir wollen im Strukturwandel unser fachliches und praktisches Know-how einbringen und gleichzeitig partizipieren.“
Die Zusammenarbeit soll es ermöglichen, Orthesen schnell und präzise mit 3D-Drucktechnologien zu entwickeln, die für ein mittelständisches Unternehmen im Alltag außer Reichweite wären. Am Ende dient die Kooperation der Gesundheit von Menschen in der Region. Zusammengeführt wurden die Partner durch die intensiv praktizierte Netzwerkarbeit im Lausitzer Strukturwandel.
Inwieweit regionale Unternehmen den Strukturwandel mitprägen können, zeigt auch die Sonocrete GmbH. Das Start-Up hat ein Verfahren entwickelt, mit dem die Erhärtungsprozesse bei der Betonproduktion deutlich beschleunigt und damit die CO2-Emissionen erheblich reduziert werden. Der Technische Leiter German Linz sagt: „Die Beton- und Zementindustrie trägt weltweit acht Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei. Die Bauindustrie strebt aber wie viele andere Branchen eine Netto-Null-Emission an. Daran wollen wir mitwirken. Unser Verfahren wird unter anderem schon beim Bau des ICE-Instandhaltungswerkes in Cottbus angewendet. Dort werden 30 Prozent der sonst üblichen CO2-Emissionen eingespart. Sonocrete beschäftigt 21 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Strukturwandel ist für uns eine große Chance, denn er macht die ganze Region attraktiv für neue Talente, die wir dringend benötigen.“
Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus (IUC)
Eines der zentralen Zukunftsprojekte im Strukturwandel ist die geplante staatliche medizinische Hochschulausbildung in Cottbus mit dem dortigen Carl-Thiem-Klinikum als künftigem Universitätsklinikum. Im Dezember 2023 stimmte das Stadtparlament der Übertragung des (bisher) städtischen Krankenhauses an das Land Brandenburg zu. Der Wissenschaftsrat von Bund und Ländern hat die Konzeption und technischen Voraussetzungen im Herbst begutachtet. „Sein Votum ist entscheidend, um das anspruchsvolle Projekt zu realisieren“, sagt der Projektbeauftragte, Prof. Eckhard Nagel. Mit einem Votum wird ab März gerechnet. Anschließend soll ein Universitätsmedizingesetz beschlossen und die neue medizinische Universität gegründet werden.
Die neue Universität soll weit über eine reine Universitätsmedizin hinausgehen und die gesamte Lausitz als Modellregion Gesundheit erreichen. Forschungsschwerpunkte sollen die Gesundheitssystemforschung und die Digitalisierung im Gesundheitswesen (z. B. Telemedizin für den ländlichen Raum) sein.
Bereits zum Wintersemester 2026/2027 sollen die ersten Studierenden immatrikuliert werden. Perspektivisch werden 1.300 neue Stellen durch die neue Universität entstehen. Jährlich rund 200 Studierende sollen dort ihr Studium aufnehmen können. Zehn Prozent der Studienplätze sind für angehende Ärztinnen und Ärzte vorgesehen, die sich verpflichten, nach ihrer Ausbildung für zehn Jahre in besonderen Bedarfsgebieten Brandenburgs zu arbeiten. Woidke: „Das wird sich positiv auf die medizinische Versorgung insbesondere unserer ländlichen Räume auswirken.“
Prof. Eckhard Nagel betont: „Die neue medizinische Universität in der Lausitz gehört zu den spannendsten hochschulpolitischen Projekten in der Bundesrepublik Deutschland. Hier geht es nicht nur um ein neues Universitätsklinikum, sondern vor allem darum, dass die Lausitz zur Modellregion für moderne medizinische Ausbildung und Versorgung wird. Junge Leute aus den verschiedensten Gesundheitsberufen werden gemeinsam ausgebildet und entwickeln die für ihre Generation richtige Form des Zusammenarbeitens.
Sie lernen, mit den Fähigkeiten der einzelnen Berufsgruppen die bestmögliche Diagnostik und Therapie zum Wohle der Patientinnen und Patienten umzusetzen. Zugleich geht es um die Prävention von Erkrankungen und die Ausbildung von Gesundheitskompetenzen. Die vielfach beklagten Defizite im Gesundheitswesen werden durch eine enge Zusammenarbeit aller verantwortlichen Institutionen überwunden. Das deutsche Gesundheitswesen galt einst als eines der besten der Welt: Die Gründung einer staatlichen medizinischen Universität in der Lausitz wird entscheidend dazu beitragen, dass dieser Anspruch wieder erfüllt und von den Brandenburgerinnen und Brandenburgern auch so erlebt werden kann.“
Hintergrund:
Insgesamt stehen der brandenburgischen Lausitz 10,3 Milliarden Euro Bundesmittel für die Strukturentwicklung zur Verfügung. Hinzu kommen zur Kofinanzierung mehrere hundert Millionen Euro vom Land Brandenburg.
Über den sogenannten Arm 1 stehen dem Land Finanzhilfen in Höhe von 3,6 Milliarden Euro zur eigenen Verwendung zur Verfügung. Diese setzt das Land über sein „Lausitzprogramm 2038“ und auf der Grundlage eines von der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH (WRL) moderierten Werkstattprozesses ein.
Bislang wurden in diesem Verfahren insgesamt 72 Projekte mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 1,8 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Dazu gehören Projekte aus den Bereichen Wirtschaft und Bildung ebenso wie Kultur und Freizeit. In den Werkstätten zu den Arm 1-Projekten bringen mehr als 80 Institutionen, Netzwerke und Zivilgesellschaft ihren Sachverstand ein. Die Werkstätten werden von ehrenamtlichen Sprechern geleitet.
Mit dem sogenannten Arm 2 schiebt der Bund in eigener Regie Projekte für die Lausitz an. Dazu stehen bis 2038 mehr als 6,7 Milliarden Euro bereit. Prominenteste Beispiele sind das ICE-Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn mit 1.200 Industriearbeitsplätzen, das IUC oder der LSP.
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